Mulholland Drive!

Ihr Blick hält mich fest, als würde sie mich kennen. Ich versuche, mich zu erinnern. Filmstill!
Ja, Mulholland Drive, Schauspielerin Naomi Watts, ein Gesicht, das sich verdoppelt. Vielleicht ist sie Betty Elms, vielleicht Diane Selwyn. Vielleicht jemand ganz anderes. Mystisch, attraktive Frauen. Delphisch.
Los Angeles, die Stadt in den USA liegt in Schatten, Neonlichter flackern. Identitäten zerfliessen. Irritierend verwirrende Wendungen, Wahrheit wird Fiktion. Realität und Fantasie verschmelzen, fallen in sich zusammen.
Die dunklen skurrilen Atmosphären in David Lynch’s visionären Strassen der Finsternis (dt. Filmtitel) sind im Heute angekommen – Trumpesque. Nomen est Omen.

Flügelfrei

Die Bussarde kreisen lautlos über die Wand, Schatten, die sich kurz über meinen Schreibtisch legen. Draussen tobt die Welt. Schwer, bleiern, gefangen in autokratischen Köpfen. Ich schreibe über die Leichtigkeit, über das, was entgleitet, wenn Furcht regiert. Die Worte kommen langsam, zögernd, als müssten sie sich ihren Weg durch den Sturmwind bahnen. Die Vögel fliegen weiter, stolz, erhaben. Einen Moment lang denke ich, dass auch Worte Flügel haben, wenn ich sie nur richtig setzte.

Die Partisanin

Der Stein lag da, umschlungen vom Seil, als gäbe es keine andere Möglichkeit.
Er sagte, es sei zu ihrem Schutz. Damit sie nicht fortgetragen werde von der Strömung. Sie glaubte ihm lange.
Doch das Seil wurde enger, schwerer, die Knoten unlösbar. Sie spürte das Gewicht auf ihrer Brust, das leise Mahlen des Steins unter Druck. Dann, ein Riss. Ein kaum hörbares Knacken. Und plötzlich – Luft. Licht. Bewegung. Sie fiel nicht. Sie rollte, sie war frei.
Ich nannte sie Partisanenweib.

Mushrooms

Zurück aus Ixtlan, aus jener virtuellen Reise tief ins Herz Mexikos. Zurück von den Gesprächen mit Carlos Castaneda, der mit ruhiger Stimme von Pilzen sprach, von Psilocybin, von jenen schmalen Graten zwischen Wirklichkeit und Traum.
Jetzt stehe ich wieder hier, in dieser anderen Wirklichkeit, umgeben von Beton und Glas, den scharfen Linien urbaner Geometrie. Doch selbst hier, auf einem Dach des HEK* flüstern die Pilze weiter.
A Band of Floating Mushrooms – ineinander verschlungene Aluminiumpilze, ein Knoten aus Stimmen, Tönen, einem Rhythmus, der aus einer anderen Sphäre zu kommen scheint. Ein Echo des Bewusstseins. Eine Einladung vielleicht, wach zu bleiben, auch wenn die Reise längst vorbei.
[* Installation, Studer/van den Berg, Haus der Elektronischen Künste, Basel, Switzerland]

Höhenmut

In der majestätischen Alpenwelt schwebt eine Stahlkonstruktion der Luftseilbahn zwischen Himmel und Erde – Sinnbild menschlicher Ambitionen und Überwindung. Eine junge Frau steht verdeckt am Rand der Plattform, den Blick fest auf die schneebedeckten Gipfel gerichtet. Matterhorn, Alpine Crossing.
Ihr Herz pocht im Takt der metallischen Seilbahn, während ihre Gedanken gegen die Wolken kämpfen. „Glaube an dich“, flüstert der Wind, „du bist stärker als du denkst“.
In der stillen Umarmung der Berge findet sie den Mut, sich den Höhen und Tiefen des Lebens zu stellen.
Hier, hoch oben, lernt sie die Kunst des Bestehens – Vertrauen, Mut und die Freiheit, die Wahrheit zu leben.

Tarantula Cyriopagopus

Gewiss, sie sind gefragt, eine wahre Delikatesse. In den Wet Markets von Kambodscha trifft man zahlreiche Gourmets, die sich an frittierten Köstlichkeiten ergötzen. Die steigende Beliebtheit dieser kulinarischen Freuden fordert jedoch einen hohen Tribut – der groteske Artenschwund bedroht die Tarantulae in ihrer Existenz.
Inmitten dieses Szenarios setzt eine junge Wissenschaftlerin aus Wien* ihre Entschlossenheit ein, die bedrohte Spezies zu erforschen. Mithilfe von Feldforschung, DNA-Barcoding und Nanotechnologie gewinnt sie wertvolle Informationen über diese einzigartigen Kreaturen. Ihre Bemühungen tragen dazu bei, das Überleben der faszinierenden Vogelspinnenart Cyriopagopus zu sichern.
Möglicherweise wird die Zukunft die Delikatessen-Esser dazu bewegen, ihre Mägen in Vegan-Grill-Shops zu füllen, wo sie gleichzeitig die Umwelt und die Tierwelt schützen können.
[*Antonia Mandl, Universität Wien, Department of Evolutionary Biology]

Das Fenster zum Hof

Im frühen Morgen enthüllt sich der Innenhof wie ein Geheimnis. Durch mein Fenster fliesst sanftes Licht, und die leeren Weingläser vom Vorabend auf der Terrasse vermitteln Ruhe. Doch eine subtile Spannung liegt in der Luft, wie der Nachklang des nächtlichen Gesprächs.
In diesem Moment erinnere ich mich an Hitchcocks Das Fenster zum Hof. Es ist mehr als nur ein Film über Male Gaze, den männlichen Blick; es enthüllt die Stärke der Frauen in einer von Männern dominierten Welt.
Hitchs Rear Window (so der Originaltitel) ist eine Reflexion über Macht, Kontrolle und die Suche nach Wahrheit – ein Einblick durch Fenster und Türen in das Leben zwischen Realität und Phantasie.
An einem der Weingläser lebt noch ein Hauch von Parfüm. Ohne Einbildung – es muss wohl der Frauenduft Trésor von Lançome sein. Male Gaze?

Trompe-l’œil?

Das Schaufenster, das mit Kanye Wests HipHop-Opus „KIDS SEE GHOSTS“ und einer Figur von Jean-Michel Basquiat eine Art Galerie simuliert, hält die Neugierde der Passanten wach. Das Fahrverbotsschild mit seiner Sprechblase wirkt wie ein vergessenes Relikt vergangener Zeiten, während das Tor zur Durchfahrt und der Hauseingang verschlossen bleiben. Sind sie Teil einer kunstvollen Pappmaché-Kulisse?
Eine Ahnung schleicht sich ein – diese Szenerie ist minuziös inszeniert. Alles wirkt wie ein stillstehender Film, die Schauspieler ahmen den Einzug in das verschlossene Biedermeier-Haus nach, das schon lange dem Abriss geweiht.
Das behutsame Anfassen der Charles-Eames-Stühle, das Tragen mit nur zwei oder drei Fingern, deutet auf Kontamination, sprich den ansteckenden Wandel von Sehnsucht zu Sehnsucht hin. Noch ist in diesem konstruierten Setting unklar, wer zu wem gehört. Heute Abend werde ich ein Backup zu diesem Trompe-l’œil durchführen. Nicht nur Kinder sehen manchmal Geister.

In der Bubble

„Ich frage mich, ob ich morgen noch zu dir kommen soll? Die Reiserei ist nicht lustig. Gestern ist der Flughafen erneut gesperrt – vom Umleiten des Fluges nach Genf sprichst du nicht und vom Anstehen an der Bahnhof-Billettschlange, dem vermissten Koffer, der nicht nach Hause findet?“, murmelt sie, ihre Gedanken in den Wind hauchend.
Ihr agiler Mann lebt Momente in seiner Cloud in frivoler Isolation und versucht sich vor den Herausforderungen und Unannehmlichkeiten der Welt abzuschirmen.
Sie schenkt mir ein Lächeln und verklappt die Mobilehülle.
Der geheime Garten, den Frauen in sich tragen, ist Männern oft unbekannt.
Mit wem sie wohl gesprochen hat?

Inemuri [居眠り]

Er wird sich der Realität bewusst und ein zarter Hauch von Verlegenheit huscht über sein Gesicht. Der junge Japaner Haruto hebt den Kopf, seine Augen noch verschwommen von seinem seichten Inemuri. Haruto hat den Moment seiner Ruhe inmitten des Alltags genossen, ohne die Zeit aus den Augen zu verlieren. Als er sich aufrichtet und in die Welt zurückkehrt, bemerkt er die leichte Rührung in den Augen seiner trippelnden Kimiko, die still und respektvoll sein kurzes Schlummern zur Kenntnis nimmt.
Es ist ein flüchtiger Augenblick des Entspannens, des Auftankens bevor er in den Strudel der Eiligkeit eintaucht. Inemuri ist mehr als nur ein Zauberwort.

View Master

Die Magie des Sehens. Eine elegant schlanke Frau greift in ihre Jeanstasche, zieht eine Quarter-Münze hervor und folgt dem Hinweis „TURN TO CLEAN VISION“ am roten Knopf des Touristen-Fernglases, vis à vis der Freiheitsstatue auf Ellis Island. Nebel trübt die Sicht.
Ein View-Master (Sawyer’s, Inc) aus dunklem Bakelit vom Kiosk nebenan versöhnt mit 3-D, Nähe und leuchtenden Farben. Erraten – das ist Jahrzehnte her.
Diese Tage, nach einem kunstvollen Eingriff, beim Ophthalmologen in der designed hellen Augenklinik: Meine Farb-Fehlsicht schärft nun auch die Grautöne.
Richtig – der View-Master war nie wirklich schwarz.

Rose [rəʊz]

Manchmal sind Bilder alles andere, nur keine Bilder. Manchmal sind sie Musik. Ich denke an Rose, die Konzertpianistin, die frühe Nachbarin im Stadthaus. Jugendjahre der Musik.
Rose war beeindruckt von Frédéric Chopin, dem genialen Romantiker. Sie schätzte ihn als hervorragenden Komponisten, war angetan von seinen Neuerungen im Nutzen der Pedale und dem Fingersatz. Dem Spiel zwischen schwarzweisser Tastatur.
Rose. Das Bild der Klavierspielerin. Wieder rätselhaft versunken – abwesend anwesend. Vielleicht nur konzentriert auf die Melodie der Imagination?
Die Erinnerung – der Klang längst vergangener und schon vergessen geglaubter Zeiten. Rose und Chopin – Musik aus reiner Emotion geboren. Das Bild lässt mich nicht los.

Augenblicke

Durch das Lächeln der Liebenswürdigkeit blitzt die Kälte für einen Augenblick wie ein Reflex. Erste Porträts seit Monaten.
Es gibt einen Augenblick, wenn alles Alte neu entsteht – die Wärme sichtbar bleibt und im Nirgendwo überlebt. Alles, was ich festhalte, scheint sich aufzulösen.
Vielleicht ist’s der Luxus der Synästhesie. Diese Spielart der Evolution, die dem Bewusstsein ein Verknüpfen der Sinne erlaubt. Das Einschalten des Empfindens generiert mehr Information – das Verbinden der Sicht: Der Geruch des kalten Blicks – der Duft des liebevollen warmen Herzens. Die Magie des Bildes.
Ich denke an Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Die verschmelzenden Themenkreise Wirklichkeit, Identität, das Leben in der grossen Stadt. Malte, der genaue Beobachter. Die fingierte Figur. Malte, im Reifeprozess in der Metropole.
Ich lerne immer noch zu sehen. Die Sinneswahrnehmung ist zentrales Motiv der Aufzeichnung. Die Kamera hat einmal versagt, im Café Corbaci. Wien. Freezing – bei einem gestohlenen Porträt. Das Reset brachte sie zur Vernunft. Die Liebe bleibt.
Nun neue Augenblicke down town, sie dauern oft ewig. Ich wende mich ab, sehe wieder hin, aber da sind sie nicht mehr.