Der Uaso Nyiro

Nun liegt er vor mir, der Uaso Nyiro. Das letzte Mal habe ich ihn über Kenia gesehen, beim Flug von Tansania nach Europa. Vom Sitz A14 (der eigentlich in der 13ten Reihe steht) auf die Erde schauen – in der wohlig klimatisierten Swissair Tube.
Emerson Lake and Palmer – die AirPods sind im Transparenzmodus, damit ich die gepressten Stimmen aus dem Cockpit nicht verpasse… («unter uns, das Flussdelta des Uaso Nyiro…»).
Gedankenversunken schwebe ich über dem CD-Cover von Brain Salad Surgery hin zu HR. Giger, zu seinen Airprush Erotomechaniks, den Alians und Biomechanoiden.
Seine phantastisch-surrealen Werke – die visuellen Effekte sind geniale Meilensteine der neuen Kulturwelt.
Nun liegt er wieder vor mir, der Uaso Nyiro – im Weinbergdorf, gefallen vom Sturmtief vor wenigen Tagen.
Die armdicken Efeu-Äste, am Stamm klammernd und festgesaugt, werden im Winter mit dem stattlichen Kirschbaum Wohnstuben wärmen.
Ich bin mir heute nicht sicher, war’s zuerst der monochrone Musik-Rhythmus, das iPod-Coverbild-Bild oder der A 14-Sitz-Ausblick in der 13ten Reihe, der mich glücklich inspirierte?

Pilany

Wie eine Choreographie, geführt von leiser Melodie. Ein offenes, weiteres Photo-Projekt. Unverfälscht, direkt, ehrlich – Raum und Momente finden. Eine Reise in eine andere Welt.
Ich bin zu früh am Set auf dem Reitergut im Markgrafenland. Es riecht nach Pferdehaar und frisch gewachstem Lederstiefel – Stallgeruch. Die Schabracke, Sattellage und Pauschen sitzen. Bereit zur Auszeit, die Freiheit zu leben.
Die vornehme Schimmel-Dame Pilany scheint kurz irritiert – das erste Klickgeräusch der leisen Leica nur. Danielas warme, flüsternde Stimme und ihre sanfte Handbewegung wirken hypnotisch. Die mentale Verbindung spielt in Slow EMotion nun. Photo-Model und Pferd sind in Harmonie. Respekt – Vertrauen und Verstehen; eine wunderbare Freundschaft.
Ich erkenne – das Pferd ist eine stille Insel, heilend weit weg vom hektischen Festland Stadt. Welch ein Luxus, diese Freiheit einzufangen. Zeitlos.

Der Stammbaum

Zurück, zur Genealogie, in die Zeit der Ahnen.
„…Ist Er vergeben?“ Die erste Frage des Gutsbesitzers und Edelmannes irritiert den Herren, den Gast aus dem anderen fernen Land. Nach kurzem Schweigen, erwidert der noch Fremde – “Er ist edler Mensch nur, seine Vorfahren kennt Er nicht. (Stille Pause)
Er ist Waise. Eines flanierenden Ritters Kuckuckskind? Weise vielleicht, doch sicher einer der vielen Bewunderer Eurer Tochter Augenweide. Gerne besuchet Er Haus und Garten, so Er Ihn denn eintreten lässt…“
Im Jetzt angekommen. Der fabelartige Stammbaum, vorne in der Schloss-Parkanlage, ist einige hundert Jahre alt. Der hintere sagenhafte, nur wenig jünger. Auch Er besitzt tiefe Wurzeln. Erkennen, berühren sie sich im Heute, irgendwann?

Alles schön geregelt

Der schwach sichtbare Zaunpfahl lässt vermuten – ich laufe nicht im freien Land, dort, wo der Waldweg vom fallenden Laub bedeckt. Vielleicht grasen Schafe hinter dem Waldvorhang? Und vom Bach schöpft weit in der Ferne aussichtsreich ein einsam stehender Aussiedlerhof?
Ich treffe Chanel – sie springt mir entgegen, leinenlos. Typ Border Colli, ein Hüte- und Treibhund aus dem Bildbruch.
Der Robidog am Ende des gepflegten Weges steht für die Hundeherde. Alles schön sauber hier. Selbst die dörren Blätter sammeln sich konform im Scheibenwischerkanal. Hier geschieht nichts, was verboten ist.
Die adrette Leinenträgerin amüsiert sich über Ihre Tochter – „…sie sammelt die farbigen Dispenser-Tütchen. Die aus Japan fehlen ihr noch.“
Ausserhalb vom gleichgesinnten Waldstück atmen städtisch Menschen, die sonntags keinen Kater kennen.

Im Urlicht

Ein Haus am Ende der Strasse, auf einer Bergkuppe – im freien Land. Die Aussicht, berauschend. Die Sonne blendend. Ruffreudige Dohlen schweben vorbei – kunstvoll nutzen sie heftige Turbulenzen – schwirren aus dem Blick, scheinbar bis zu den Cirren hoch. Fern schwingt klassische Musik im Wind. Eine Symphonie. Die warme, tiefe Frauenstimme, eine Contra-Alto, trägt mich näher zum ungeschminkten Gebäude hin.
Ich erkenne das Orchesterwerk – Mahlers Zweite Symphonie, Resurrection, die Auferstehung, und die bekannte Gesangs-Partie: Im Urlicht.
„…Es klingt alles wie aus einer anderen Welt herüber. Und – ich denke, der Wirkung wird sich niemand entziehen können. – Man wird mit Keulen zu Boden geschlagen und dann auf Engelsfittichen zu den höchsten Höhen gehoben…“ so Gustav Mahler in einem Brief 1895 über sein sehnsuchtsvolles forderndes Werk.
Mahler klingt nach Bildmusik und inspiriert. Das Zeitbewusstsein ist plötzlich weg. Das Traurig-Schöne im Chores-Sang widerspiegelt die tägliche Wirklichkeit: Begierde, Liebe, Wut, Chaos, verdrängte Sucht – bis hin zum geordneten Vergeben. Der Ego-Rhythmus ist sehr stabil. Menschliches, Allzumenschliches. Nietzsche und Mahler – sie sind weit mehr als nur Zeitgenossen.
Bleibt zum Träumen noch Raum? Ich nehm ihn mir. Mit der Kamera.
Mein Vesper-Glas bleibt leergetrunken. Die sphärischen Chorstimmen sind verstummt und die Fensterflügel verriegelt.
Bald ist Winterzeit. Die Blumen schon ausgetrocknet.
Ich werde auf eine weite Reise gehen.

Du siehst mich nicht

Ich bin eine Maine Coon. Du kannst mich nicht sehen, so tief im Gebüsch. Musst viele Augen haben, vielleicht dann – vielleicht dann, irgendwann, wenn ich mich räkle erspähst Du mich. Mit der Zeit.
Dein Pech – ich bin schwarz wie die Nacht. Musst viele Ohren haben, um mein Schnurren zu hören. Doch meinen Namen, den verrate ich Dir nicht. Er hat keine Bedeutung für Dich.
Du musst viele Nasen haben, um mich zu erschnuppern – wenn Du Glück hast riechst Du den Blütenzauber, vielleicht den moorigen Boden. Bücke Dich nur hin. Ich fühle mich wohl, so im Hortensien- und Oleandergarten. Er spendet mir Vertrauen und viel Sommerfrische.
Nur nachts, da bin ich weg. Du kannst mich nicht erblicken. Und dann ist es zu dunkel für Dich den Garten zu sehen.
Doch ich schenke Dir die flüchtigen bezaubernden Blüten, damit Du weisst, wo ich nicht war.

Ginko Gefallen

Im Herbst des Lebens fallen die Blätter. Die genialen Formen des Ginkgos – fächerförmig, oft tief geteilt – verführen zum Hinsehen und Sammeln.
Sie sind nicht nur in Japan oder China beliebte wundersame Lesezeichen – denn für fast alle Insekten mehr oder weniger toxisch – schützen sie Bücher vor Silberfischen und Insektenlarven. Die Blätter, pharmazeutisch genutzt, enthalten Flavonoide. Ginko-Extrakte nutzt die Phytopharmaka; die Arznei hilft bei Gedächtnisstörung…
2000 wurde der Ginko als Mahnmal für Umweltschutz und Frieden zum Baum des Jahrtausends.
Die ältesten Exemplare mit über 40 Metern Wuchshöhe sind über 1000 Jahre alt. Seiner essbaren Samen wegen ist er in Ostasien behütet und geschätzt.
Seefahrer konnten seiner sagenhaften Schönheit nicht widerstehen. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wird er in Europa als Zierbaum in Parkanlagen und privaten Gärten gepflanzt. Der Blattform wegen sind Bezeichnungen wie Elephantenohr-, Entenfuss- oder Fächerblattbaum zu finden.
Die wundervollen Blätter – sie gefallen auch gefallen.

Lebensraum Moor

Traumlandschaft. Sanft, wolkenweich. Sich nun hinlegen, einfach nur ausspannen, meditieren.
Der Duft der Moose, erdig, herb. Wellness pur – kostenlos in der Natur. Beim Wandern, fern ab der Hektik der Stadt, sich neu entdecken. Loslassen. Nicht erreichbar, nur für sich alleine sein. No Phone, no Tablet. Digital Detox. Keine Auflagen, keine Vorschriften.
Neuer Genuss. Einatmen. Ausatmen. Den Herzschlag spüren.
Ein Rotmilan kreist unweit über den nahen Fichtenwald. Sein Ruf ist langgezogen, wellenförmig und hört sich klagend an. Keine Zeit für Trauer nun. Keine Tristesse. Einatmen, ausatmen. Natur, Glück, Seligkeit tanken. Sich Sein.
Erst in der Nacht, weiter wandern.

Himmelwasser

Löschweiher, Löschteiche („Feuerseen“), stammen aus mittelalterlicher Zeit. Da gab es noch keine zentrale Wasserversorgung.
Quell- oder Regenwasser (Himmelwasser) wurde meist in Siedlungen, im Ortskern bei Dorfbrunnen gespeichert. Mit einer Eimerkette, später mit Pumpen, konnten die Mannen der Feuerwehr das Wasser einfach vor Ort nutzen.
Das Reinehalten des Wassers ist wichtig – gegen Verschlammen hilft oft nur das periodische Reinigen. Fische sind gern gesehene Helfer.
Der gespiegelte “Feuer-Teich”, im frühmittelalterlichen Weinbergdorf im Markgrafenland, wird heute noch von Röhrenbrunnen-Quellwasser gespeist.