Wo bist Du?

Der Regionalzug rattert in den nahen Sommer. Eine zerquetschte Motte klebt noch im Lesestoff. Dünnseitig, gerade passend für eine Vier-Stundenfahrt. Zeilen voller Sehnsucht – über die Frau, die berühren möchte, um nicht vermisst zu sein. Über den Mann, der den Tumor besiegen will, rasend vor Wut, Verpasstes versäumt zu haben. Den Körper wieder fordert bis zum Runners-High. Nochmals Starten zum neuen Leben. Sich endlich spüren. Ehrlich Sein. Nochmals versuchen. Die Frau, der Mann – werden sie’s schaffen, die Reise zum Glück?
Das schmale Buch voller Schicksale besser zur Seite legen. Eigene Gedanken finden, inspirieren lassen – auf den Schienen zum weiten Ziel. Schnelle Bilder, verschwommene Farben. Aquarelle zur Meditation. Leben im Jetzt.
Der Duft von Molecule 01 liegt in der Luft – verdrängt den rostenden Eisengeruch. Sie huscht vorbei, die junge Frau mit Dutt, im prallen Dirndl. Oder ist es der alternde Geck, der das Zugabteil kurz zum Genuss beduftet?
Wieder dem Fenster zuwenden. Bilder erjagen. Bis nach Bavaria. Glückliche Tage. Morgen wieder Zurückfahren, dem Bodensee entlang. Gedankenverloren Bilder finden. An mich denken. Und an Dich. Wo bist Du?